Wolfgang Tonninger – Heidelberg Connection #beyondstorytelling

Ich stehe am Gaisbergturm und blicke auf die Lichter von Heidelberg. Es ist 4 Uhr morgens und es nieselt. Der Wind, der noch vor einer halben Stunde mit den Blätterkronen der Bäume spielte, hat sich gelegt. Es ist ruhig. Ich bin ruhig. Endlich. Der Gedankenstrom, der am Ende eine einzige Gedankenschnelle war, hat sich gelegt. Die Vertikale ist wieder hergestellt und ich wieder verwurzelt. Ich bin wach. Aber anders als im Gedankenturm. Ich bin wachsam und höre den Wald in all seinen Tonlagen. Nicht die schlechteste Vorbereitung auf einen Workshop, denke ich. Über den Horizont quillt Dämmerlicht in die Nacht. Als es Zeit ist, gehe ich hinunter.

Im Zug zurück nach Salzburg lese ich, dass alle 85 Stufen, die als Wendeltreppe auf die Spitze des Turms führen, unterschiedlich geformt und orientalischen Spiralminaretten nachempfunden sind. Und dass das Mauerwerk des Turms aus Buntsandsteinquadern ohne Mörtel oder sonstige Bindemittel aufgeschichtet worden ist. "Buntsteinquader ohne Bindemittel aufgeschichtet und begehbar über 85 unterschiedlich geformte Stufen" - halte ich fest und muss an den Kongress denken, von dem ich komme.

BEYOND STORYTELLING war ein Geschenk in doppelter Hinsicht, weil nicht nur die Qualität des Angebotenen passte (mit wunderbaren Keynotes von Michael Müller, Mary Alice Arthur und Petra Sammer, kurzweiligen Workshops (zu denen ich auch einen Beitrag leisten durfte), sondern auch die Qualität der Aufnehmenden, Zuhörenden, Anreichernden und Weiterdenkenden (die Open Space Session zum Thema STORY JAMMING mit Johann L. Bota war mein persönliches Highlight in diesen Tagen, nicht weil einer so gut war, sondern weil wir miteinander, das heißt alle zusammen, in dieser Runde etwas geschaffen haben, das über unsere kleinen Erzählegos hinausging).

Mein Resümee?
Selten zuvor auf einer Veranstaltung gewesen, die so wenig Energie in Machtspielereien und Eitelkeiten vergeudete. Selten zuvor auf einer Veranstaltung gewesen, wo so viel Dialog auf Augenhöhe möglich war. Buntsteinquader ohne Bindemittel: Es war die Vielfalt der Menschen, die einen tiefen Eindruck hinterließ und es war die Einsicht, dass das beste Bindemittel für einen Kongress, der über das Erzählen von Geschichten hinausgehen will, die Menschen selbst sind.

"Beyond beyond" formulierte es der wunderbare Rik Peters in einer Kurznachricht am Tage des Auseindergehens. Der Möglichmacher dahinter heißt Jacques Chlopczyk, vor dem ich jetzt meinen imaginären Hut ziehe. Einen Hut, der mit einer Feder geschmückt ist, die ich vor 20 Jahren in Ceüsse gefunden und aufgehoben habe - am Fuße einer Klettertour mit dem Namen "Captain Dada". Finden und aufheben - das muss zusammengehen, wenn etwas passieren soll. Ich habe es immer gewusst, instinktiv. Jetzt trage ich es auf meiner Stirn. Danke Jacques! Danke Stephanie! Danke Christine! Danke Yannis! ...

Was bleibt?
Der Kongress ist zu Ende. Der Dialog geht weiter. Springt über. Jeden Tag. Der im Umfeld des Kongress gegründete ThinkTank Stories for Europe ist ein Beweis dafür. Damit wird es ein Leichtes sein, die Tage bis Hamburg zu überstehen. Am 8/9. Juni 2018 sehen wir uns wieder, wenn der Kongress BEYOND STORYTELLING in die zweite Runde geht. Und dann gibt es ja auch noch das Buch, das die eigentliche Triebfeder war, die den Kongressgedanken angekurbelt hat. Es ist pünktlich zum Kongress erschienen und wunderschön geworden.

Ich bin stolz, Teil dieser Community zu sein!

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Coverbild des Gaisbergturms: Von Solaris2006 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1177542